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Die besten Alben im 1. Halbjahr 2016

Alles was sonst nirgends passt!

Die besten Alben im 1. Halbjahr 2016

BeitragAuthor: Tuxman » Di 26. Jul 2016, 23:41

Es ist ein halbes Jahr vorbei, und schon der Disziplin (eine sonst überschätzte Tugend) wegen wird es daher Zeit, einmal die ersten sechs Monate der musikalischen Neuerscheinungen - all jene also, derer ich bis Ende Juni habhaft werden konnte - Revue passieren zu lassen, wohl wissend, dass all das von vornherein von vielen Toden und mittlerweile auch der Auflösung von Beardfish überschattet wird.

In diesem für die Musik doch eher merkwürdigen Jahr gibt es auch gute Neuigkeiten: Beak> drohte es nicht mehr zu geben, aber Ende März wurde eine Neubesetzung angekündigt. Das zwischendurch erschienene Album "Couple in a Hole", im Wesentlichen eine Skizzensammlung und deshalb hier nicht interessant, ist jedenfalls noch im alten Miteinander aufgenommen worden. Keinesfalls gesonderte Erwähnung finden hier auch die bereits anderweitig empfohlenen neuen Alben von Kula Shaker und Karokh, die allerdings weiterhin uneingeschränkt hörenswert sind.

Im Juni zweifelte Dirk Peitz auf "ZEIT ONLINE" daran, dass es eine gute Idee sei, Konzertbesucher per Beschluss davon abzuhalten, das Konzert nur durch ihre Smartphonebildschirme wahrzunehmen. Möge Dirk Peitz sich weiterhin mit seichter Popmusik herumschlagen, die ein fragwürdiges Klientel anlockt! Euch ist derweil viel Spaß mit folgenden Glanzstücken zu wünschen:

1. Super-Scheiben.

  1. Neurosenblüte - ganz frisch (Cover)
    "Es ist und ist und ist einfach / und ist und ist." (Immer dieses Jetzt)

    Endlich mal eine Rezension, die sich sozusagen von allein schreibt!

    Auf der Mailingliste "progrock-dt" kündigte die Hamburger Band Neurosenblüte - allein der Name schon! - ihr diesjähriges Minialbum "ganz frisch" wie folgt an:

    Was drin ist:
    -Acht Titel mit einer Gesamtspielzeit von ca. 30 Minuten
    -Front- und Backcover zum Selberbasteln (oder -backen)
    -Texte mit Verstand
    -Texte ohne Verstand
    -Takte zum Kopfrechnen
    -Ganzton-, Zwölftonzeug
    -langweiliges, normales Dur/Moll-Zeug
    -Dinge, die klingen wie Verspieler
    -echte Verspieler


    Das kann ich ruhigen Gewissens so stehen lassen. Ich höre Krautrock und vor allem viel King Crimson. Die Herren haben noch Großes vor sich, wie mir scheint. Ich wünsche viel Erfolg.

    Reinhören: Auf Bandcamp.com lässt sich "ganz frisch" anhören und - leider nur als Download - kaufen.

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  2. DeWolff - Roux-Ga-Roux (Cover)

    DeWolff - der Leser möge sich erinnern - ist ein immer noch junges Trio, dessen Mitglieder gegenwärtig noch immer weit von ihren 30ern entfernt sind und dem man ein fehlendes Profil schon jetzt nicht attestieren kann:

    Die Musiker selbst bezeichnen ihren Stil als „psychedelischen, elektrifizierten, fuzzgetränkten, ekstatischen, hart groovenden Space-Rock-n’-Roll”.


    Nun also gibt es nicht nur ein neues Livealbum namens "Live & Outta Sight", sondern auch ein neues Studioalbum: "Roux-Ga-Roux".

    Ein roux-ga-roux oder rougarou ist, so teilt's die Wikipedia mit, ist ein Blut saugendes Fabelwesen aus indianischer Folklore, das irgendwie mit dem Werwolf zusammenhängt, womit man bei DeWolff ja eigentlich auch hätte rechnen können. Die "VISIONS" nennt Teile des Albums versumpft und meint das wahrscheinlich positiv.

    Zu tun haben wir's hier allerdings nicht mit Sumpfmusik, sondern mit feinstem Bluesrock, die Rede ist von Deep Purple und Led Zeppelin als Anhaltspunkte und das ist nicht mal besonders falsch. Die psychedelische Spielrichtung des Bluesrocks, wie sie in den 1970ern populär war, findet in DeWolff nach wie vor einen willkommenen Fürsprecher. Ich bin willens, hier und da auch etwas von Hendrix und ein bisschen von den Doors anklingen zu hören, und bin restlos begeistert. Starke Scheibe, wie man auf Neudeutsch sagt.

    Reinhören: Auf YouTube gibt es ein thematisch passendes Video zu "Sugar Moon", Amazon.de hat halbminütige Schnipsel zum Rest des Albums im Portfolio.

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  3. Jupiter Jones - Brüllende Fahnen (Cover)
    "Flimmernde Pupillen werfen Chaos zurück" (Lauf.Forrest.Lauf!)

    Jupiter Jones? Hier? Aber ja! Glaubt mir: ich bin mindestens so entsetzt wie ihr.

    Dabei ist die meiste Musik solcher Deutschrockbands vor allem wegen des Sängers schaurig, ein ungeeigneter Sänger (zum Beispiel Phil Collins) kann selbst die theoretisch beste Band zu einem jämmerlichen Häuflein Popmusikanten degenerieren. Jupiter Jones sind mir insofern vielleicht auch deshalb zum ersten Mal positiv aufgefallen, weil sie für "Brüllende Fahnen" mit ihrem neuen Sänger Sven Lauer zusammengearbeitet haben, der hier selbst für meine gequälten Ohren ungemein passend klingt.

    Was wird hier musikalisch dargeboten? Nun, neben dem wohl genrebedingten Liebeslied "70 Siegel" hört man eine interessante Mischung aus moderner Elektronik und erdigem Deutsch- und Indierock, als hätten die Musiker neben, dies teilten sie dem Publikum jedenfalls mit, den Arctic Monkeys auch Die Goldenen Zitronen sowie The National zu ihren Musen erkoren. (Ich habe zumindest das jetzt nicht überprüft.)

    Die "VISIONS" spekulierte sichtlich befremdet, alte Fans hätten an den Dissonanzen im Titelstück vermutlich schwer zu knabbern, das Radiobegleitmagazin "musikexpress" ist naturgemäß geradezu schockiert über die Abkehr von der Art Musik, die einstmals "Frühstücksfernsehzuschauern" (ebd.) bekannt zu werden vermochte, mich indes begeistern die krummen Akzente. Dabei übertreiben Jupiter Jones es nicht übermäßig, zur Avantgarde mag's nicht reichen; allein: Wenn bewährter Gitarrenrock (noch so eine Assoziation: Die Toten Hosen, erfreulicherweise nicht textlich) auf nach vorn preschendes Schlagzeug trifft, nicht begleitet, sondern übertönt von einem geradezu absichtlich introvertiert wirkend singenden Sänger, und all das häufig so, dass man sich dann doch mal ans Mitzählen der Takte macht, weil etwas merkwürdig erscheint, dann funktioniert hier irgendwas richtiger als da, wo der "musikexpress" Jupiter Jones offensichtlich gern sehen würde.

    "Grausam" sei "Brüllende Fahnen", da sich "kein einziger Song mit Hitpotenzial" darauf befinde, befand ein übermäßig ungehaltener Hörer auf Amazon.de, und wenn wir uns nun alle einmal gemeinsam vor Augen führen, wie Alben, auf denen "Songs" mit "Hitpotenzial" zu hören sind, insgesamt so klingen (Phil Collins!), dann ist allein das fünf Sterne wert.

    Ich kaufe ja gern mal das Gegenteil.

    Reinhören: Warum nicht mal auf TIDAL?

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  4. De Staat - O (Cover)
    "I’ve got 99 solutions but the blues got none." (Blues Is Dead)

    Oh! De Staat, eine hocherfreuliche Combo aus einem hocherfreulichen Land, sind nach wie vor aktiv.

    Es beginnt wie einst ein grauenhaftes Album von ausgerechnet Muse mit seltsamen Instrumentalfanfaren, wird dann aber deutlich besser. "Peptalk" ist Selbstironie in Musikform. "We're gonna have some fun tonight, tonight", dargeboten in einer offensichtlich absichtlich schrägen Gruppengesangsnummer. Seit "Sweatshop" ("Machinery", 2011) haben sie nichts verlernt.

    Ansonsten channeln De Staat mal Primus ("Make The Call, Leave It All"), mal die Pet Shop Boys, schwingen im Kosmos von Tanzpop ("Baby"), New Wave und Groove herum, ohne sich dabei in irgendwelche Grenzen zwängen zu lassen. "Blues Is Dead" ist eine Bluesrocknummer, die die üblichen Verdächtigen (Gary Moore und so weiter) als bekannt voraussetzt, aber den besungenen Stil als endlich begraben deklariert: "Hip-hip hooray, the blues is dead". Hatte noch jemand angenommen, dass "O" eins der üblichen bierernsten Indie-Rock-Alben ist, so weiß er es spätestens jetzt besser; beziehungsweise:

    Unter den Dingen, die sich im De-Staat-Kosmos nicht geändert haben, ist auch, dass die Holländer mit ihrer Mischung aus Pop-Appeal, Kunstanspruch, Ironie und hemmungsloser Beklopptheit nach wie vor völlig unverwechselbar und eigenständig sind.


    Den Witz mit der "runden Sache" haben schon zu viele Leute vor mir gemacht, was mir natürlich jetzt die Pointe ruiniert; und aber jedenfalls: "O"? O ja!

    Reinhören: Amazon hat Halbminüter, zu "Make The Call, Leave It All" gibt es ein beknacktes Studio- und zu "Get On Screen" ein minder weniger beknacktes Livevideo. Viel Vergnügen.

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  5. Daevid Allen Weird Quartet - Elevenses (Cover)

    Die, so behauptet es ein Hinweis auf der CD-Umhüllung, "letzten Aufnahmen" des verstorbenen Daevid Allen, einst Mitgründer von Gong, die erfreulicherweise weiterhin existieren, und Soft Machine sowie letztes Urmitglied der Erstgenannten, fanden nicht zusammen mit dem Rest einer dieser beiden Bands statt, sondern in einem Quartett, das sich immerhin standesgemäß das Daevid Allen Weird Quartet nennt.

    Nun ist die Vermutung, es handele sich tatsächlich um Herrn Allens "letzte" Aufnahmen, nicht nur geringfügig falsch, sondern trotz der vermutlich starken Vermarktungswirkung fernab der Tatsachen, sind doch seine Beiträge zum Album, wie das Internet weiß, zwischen 2006 und 2008 und somit mindestens drei Jahre vor seinem tatsächlich letzten Album, "soundbites 4 tha reVelation 2012", entstanden. Auch das Quartett selbst ist eigentlich nicht neu, es nahm noch vor 2006 unter dem Namen Weird Biscuit Teatime - auch hier eine Anspielung auf das 70-er-Werk von Gong - bereits "DJDDAY", ein krautiges Space-Rock-Album, auf und änderte seinen Namen erst für die Veröffentlichung dieses Albums, nachdem Daevid Allen, der zuvor dem fast fertigen Album seine Zustimmung gegeben hatte, gestorben war, weil die Plattenfirma das gern so haben wollte. Klar: Daevid Allen kennt man, aber wer war noch mal Don Falcone? Wenn es nicht gerade merkwürdige Namen trägt, nennt sich das "Kollektiv" allerdings Spirits Burning, umfasst auch schon mal Mitglieder von Hawkwind und lädt Steven Wilson, Nic Potter und weitere Größen des Progressive Rocks zum Spielen ein. Weird.

    So weit zum Schlechten, denn das alles allerdings ist Schall und Rauch, insbesondere des Wortspiels wegen: "Elevenses" ist pure Kraut- und Drogenmusik, psychedelisch im besten Sinne und obendrein dermaßen gespickt mit der guten alten Hippieorgel, dass man sich beim Hören beinahe wieder jung (und bekifft) fühlt. Musikalisch hat Daevid Allen 1970 seit seiner Ankunft nie verlassen.

    Bereits das zweite Stück "Imagicknation" wirkt wie direkt einem der frühen Space-/Krautrockalben entnommen, der Geist von Can, Amon Düül (II) und eben Gong weht durch jede der fast vier Minuten, "Grasshopping" ist ein instrumentaler Trip durch eine sehr bunte Tropenwelt - oder vielleicht doch Gras? - und auch "God's New Deal", bis dato nur als eins der vielen Gedichte Daevid Allens bekannt, atmet in seiner bemerkenswerten Zusammensetzung aus Zirkusmusik, Folk und beatlesquem Psychedelic Rock die Aura der Blumenkinder ein.

    Lässt man einmal die zumindest unglückliche Vermarktung außer Acht, ist "Elevenses", was Alben von und mit Daevid Allen schon immer ausgezeichnet hat: Freakig im besten Sinne, drogenschwanger, farbenfroh und nie auch nur nahe dem Ernst; wohl auch, weil 2008 sein Krebstod noch nicht absehbar war. "Elevenses" als sein Vermächtnis zu bezeichnen wäre sicherlich nicht in seinem Sinne gewesen. Ich schlage daher vor, es als das zu betrachten, was es eigentlich ist: Ein durchaus beachtliches Psychedelic-Rock-Album aus dem - wie treffend - Allen'schen Klangkosmos für jeden, der Gong und alles aus deren musikalischem Umfeld zu schätzen weiß.

    Reinhören: Es möge ein Verweis auf Amazons Hörproben vorübergehend genügen.

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  6. Hawkwind - The Machine Stops (Cover)
    "The secret lies within us / deep inside the human mind" (King of the World)

    Apropos Hawkwind.

    Im Dezember 2015 starb Lemmy Kilmister, seines Zeichens nicht nur Gründer und Frontmann von Motörhead, Phil-Collins-Bewunderer und Bourbontrinker, sondern zur positiven Abwechslung zudem insgesamt vierter Bassist der Hardrockband Hawkwind von 1972 bis 1975, die mit nur einer Pause von wenigen Monaten Dauer seit 1969 sozusagen durchgehend aktiv ist und somit neben Pink Floyd und ähnlichen Gruppen aus jener Zeit zu den Pionieren des Spacerocks gezählt werden kann, wenn man das unbedingt möchte.

    Dass von der Urbesetzung von Hawkwind nur mehr Gitarrist/Sänger/Keyboarder Dave Brock übrig ist, der in diesem Jahr 75 Jahre alt wird, macht "The Machine Stops" trotz des klischeehaft schaurigen Coverbildes um so interessanter. Die Band selbst ist 2016 zu sechst, wobei Neuzugang Haz Wheaton lediglich in den letzten beiden Stücken am Bass zu hören ist. Ansonsten servieren Hawkwind hier weitgehend bewährte Kost, allerdings auch mit bewährt hohem Standard und mit einem erwähnenswerten Hintergrund: Es stand die gleichnamige Kurzgeschichte des Erzählers Edward Morgan Forster von 1909 Pate, in der die Menschheit, deren sämtliche Bedürfnisse von einer riesigen Maschine befriedigt werden und deren Kommunikation bevorzugt über "Sofortnachrichten" stattfindet, nach ein paar unangenehmen Zwischenfällen unterirdisch leben muss; diejenigen Menschen, die Zweifel an der Quasigöttlichkeit der Maschine haben, gelten als Ausgestoßene und werden von ihren Mitmenschen entsprechend geringgeschätzt. Inwiefern Edward Morgan Foster das Smartphonezeitalter damit vorhergesehen hat, füllt sicherlich so manchen wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Aufsatz, soll allerdings auch gar nicht das Thema dieser Rezension sein. Vielleicht nur dieser Gedanke: Vieles, was wir als Fiktion kennen, ist eigentlich gar keine.

    So. Zur Musik.

    Mit "All Hail the Machine" geht es bereits stilecht los: Blubbernde Synthesizer leiten über in einen technischen, hektisch flimmernden Rhythmus aus allerlei Verzerrtem, es spricht ein Erzähler exaltiert von der Großartigkeit der Maschine - "Blessed is the machine! Blessed is the machine!" -, bis schließlich viele Stimmen durcheinander rufen: "All hail the machine!" Der Hörer weiß so auch ohne Kenntnis von der Kurzgeschichte, worum es wohl geht. Fein.

    Wie es sich für ein anständiges Konzeptalbum gehört, wird diese Einleitung mit dem ersten richtigen Lied, das den Namen "The Machine" trägt, überblendet. Neben dem knackigen Bass, hier von Jonathan Darbyshire, der sich gelegentlich Mr Dibs nennt, gespielt, fällt mir ein musikalischer Rückgriff in den Postpunk der 1980-er Jahre auf, wenn auch etwas frischer klingend, dominiert vom Gitarrenspiel und Gesang Dave Brocks. Das Punkige legt die Band auf "The Machine Stops" nie völlig ab, selbst in "Synchronized Blue", das die Wurzeln der Band in der psychedelischen Musik der späten 1960-er Jahre noch einmal deutlich werden lässt; auch das großartige "King of the World" schlägt in eine ähnliche Kerbe, angereichert mit den genre- und bandüblichen elektronischen Effekten, die dem Lied eine entrückte Atmosphäre verleihen. Zwei weitere Lieder sind eigentlich Soloaufnahmen zweier Bandmitglieder: "Hexagone", eher eine Spaceballade als ein Spacerockstück, wird allein von Phillip Reeves alias Dead Fred, nebenberuflich Keyboarder bei Inner City Unit, intoniert und instrumentiert, das orientalisch anmutende "The Harmonic Hall" von Niall Hone (sonst Gesang, Keyboards und Synthesizer).

    Ihr merkt es vielleicht schon: "The Machine Stops" macht Spaß, weil es nur selten in Spacerockklischees versinkt, dann aber immer so, dass man es für Selbstironie halten könnte. Es sind die kleinen Details, die es zu einem sehr angenehmen Erlebnis machen. Natürlich agieren Hawkwind hier weit von dem Spacerock entfernt, den zum Beispiel Gong (hatten wir ja gerade) oder Pink Floyd in ihren besten Zeiten gemacht haben, aber genau das ist es, was diesem Jahr noch gefehlt hat.

    Es möge die Maschine Hawkwind noch lange nicht angehalten werden!

    Reinhören: Wie wäre es mit TIDAL? Ansonsten hilft Amazon.de gern weiter.

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  7. Tonbruket - Forevergreens (Cover)

    Einfach mal ein bisschen Instrumentaljazz zwischendurch. Wobei: Ist das noch Jazz?

    Tonbruket, ein Quartett aus der Peripherie des auf bedauerliche Weise untergegangenen Esbjörn Svensson Trios und der nicht üblen, aber ebenso aufgelösten Indierockband The Soundtrack of Our Lives, allesamt aus dem herrlichen Schweden, spielen hier jedenfalls alles andere als bloße Klassiker. Ignoriert das potthässliche Coverbild, es lenkt nur unnötig ab.

    Nach der gesprochenen spanischen Einleitung ("Intro") wird zunächst einmal die Erinnerung an den Flat Beat - wenn ihr den gerade nicht im Kopf habt, holt das bloß nicht nach - geweckt. Tortoise und vergleichbare Bands lassen hier grüßen: Ein merkwürdig schleppender, verzerrter beat fräst sich ins Ohr, um sogleich wieder zu verschwinden und Platz zu machen für Perkussion und Klavier, deren Spiel von bemerkenswerter Melancholie geprägt ist und die bis zum Ende von "Mano Sinistra", allmählich fordernder werdend, das Fundament für die Eskapaden der übrigen Instrumente. Etwas ruhiger geht es im folkigen "Sinkadus", mit dem die norwegische Liedermacherin Ane Brun als Gast auf "Forevergreens" ihren Einstand hat, zu. Mit "Tarantella", "Linton" und "First Flight of a Newbird" finden Tonbruket immer wieder zur elektronischen Tanzmusik, immer wieder klingt Artverwandtes wie von Jaga Jazzist und eben Tortoise an, maßgeblich eigenständig durch die dominante Klavierarbeit von Johan Lindström und Martin Hederos, der ab und zu auch zu Akkordeon, zum ersten Mal hörbar in "Sinkadus", und Geige greift.

    "Forevergreens" ist eines dieser Alben, die offensichtlich unscheinbarer wirken als sie tatsächlich sind. Wenn ihr gegen ein wenig Jazz nichts einzuwenden habt, gebt ihm eine Chance.

    Reinhören: Bei Amazon.de geht's hier ein paar Auszüge, TIDAL hat den Rest.

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  8. Joe Bonamassa - Blues of Desperation (Cover)
    "I keep searching this world / for someone to hold me" (No good place for the lonely)

    Wahrscheinlich ist es ein Zeichen meiner allmählichen Vergreisung, aber ich gebe zu: Dieses - schon wieder - Bluesrockalbum beeindruckt mich. Das könnte am Künstler liegen. Nun fällt diese Rezension ein wenig aus der gewohnten Reihe, denn ich mag eigentlich keinen Bluesrock, deshalb verzeihe man mir die Freude an vielleicht Gewöhnlichem. Die offensichtlich auf bloßen Trübsinn geschriebenen Texte, deren Sänger trotzdem Voraussetzung für ein angenehmes Klangerlebnis ist, sind oft zu wenig tiefsinnig, zu uninteressant. Irgendetwas hat dieses Album aber an sich, das bei mir das sprichwörtliche Klick auslöst.

    Joe Bonamassa entstammt einer aussterbenden Spezies, namentlich derjenigen der Gitarristen, die als Einzelmusiker schon positiv aufgenommen worden waren, bevor sie sich einer Band angeschlossen hatten, obwohl er zumindest mir erst mit den zwischenzeitlich aufgelösten Black Country Communion zum ersten Mal aufgefallen ist. Gelegentlich ist zu lesen, sein Spiel erinnere oft an Eric Clapton, was trotz des subtilen Subtextes, dass es ihm demnach wohl an Originalität mangele, durchaus nicht die schlechteste Referenz ist. In seiner Solodiskografie findet man mehrfach eine Zusammenarbeit mit Beth Hart, die trotz ihrer Entdeckung in der Castingsendung "Star Search" später ernsthafte Musikerin wurde und, wie sich das für anständige Musiker gehört, nach ihrem Drogenentzug in den letzten zehn Jahren unter anderem zusammen mit Jeff Beck aufgetreten war, und seit 2008 ganze zehn Livealben beziehungsweise -videos. Der Mann ist gern unterwegs, wie mir scheint.

    Jetzt also "Blues of Desperation", "Blues der Verzweiflung". Gibt es denn auch anderen Blues? Von Verzweiflung ist freilich jedenfalls musikalisch nicht viel zu hören, dafür feiner Bluesrock, dessen Rhythmusabteilung man vermutlich besser ausweichen sollte, denn sie gibt voll auf die Fresse. Vielleicht ist das im Bluesrock immer so. Die erste Verschnaufpause, das in der Tat claptonesque "Drive", folgt direkt auf den ersten Höhepunkt, das kraftvolle "Mountain Climbing", das allein es wert wäre, dieses Album mal gehört zu haben. Ein überragender Auftakt, der die Freude bis hin zum Ende des Albums festigt. Dass die Texte zu den erfreulichen Melodien nicht gerade zum Feiern einladen ("Blood on my hands and there's holes in my jeans / you scrub all day but you never get them clean"), ist eines dieser Dinge, die ich am Bluesrock wohl nie verstehen werde. Ich habe beschlossen, die Liedtexte von "Blues of Desperation" einfach einmal als schmückendes Beiwerk und nicht als essenzielle Komponente zu betrachten, und trotzdem funktioniert es immer noch für mich.

    Zugegeben: Bluesrock lebt stilistisch nicht gerade von Vielfalt und Abwechslung. Aber das muss er auch gar nicht. Der Etikettenschwindel sei verziehen: "Blues of Desperation" lässt den Hörer nicht etwa verzweifelt, sondern völlig aus dem Häuschen zurück. Ich sollte offensichtlich mehr über dieses Genre in Erfahrung bringen. Euch lege ich dieses Album bis dahin nahe. Es ist gut - und ich weiß nicht, warum.

    Reinhören: "Mountain Climbing" auf YouTube. Mag ich.

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  9. Jeremy Flower - The Real Me (Cover)
    "The curtains start to close / and everybody knows" (Longing in the Tooth)

    Jeremy Flower (heißt wohl wirklich so) war bisher ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt auf dem weiten Feld der anspruchsvollen Musik mit Rockbezug und tobte sich eher im Klassik- und Jazzbereich aus. Mit "The Real Me" führt er dem geneigten Hörer vor, wie schade das eigentlich ist.

    In 14 Stücken und etwa 70 Minuten, womit sich die Lieder "eigentlich" auf Radiolänge halten, aber keinesfalls eine Chance haben, jemals im seichten Einheitsbrei aufzutauchen, brilliert Herr Flower (heißt wohl wirklich so) hier an Gitarre, Keyboards und Mikrofon, und das nicht einmal allein; an seiner Seite geigt und singt neben elf weiteren Musikern auch Carla Kihlstedt, die der geneigte Hörer von ihrer Zusammenarbeit mit respektive Mitgliedschaft in Bands wie den Stolen Babies, Sleepytime Gorilla Museum, The Book of Knots und so weiter und so fort kennt. Die Frau hat Referenzen und - dies steht außer jeglichem Zweifel - singen kann sie richtig gut. Davon macht sie - abgesehen von "Longing In The Tooth" - hier auch reichlich Gebrauch. Ist das "wahre Ich" Jeremy Flowers (heißt wohl wirklich so) also eigentlich Carla Kihlstedt? Und: Ist das eigentlich von Belang?

    "The Real Me" ist auf jeden Fall ein stimmungsvolles Album, es herrschen Melancholie und Schwermut. Das beginnt bereits im wütend-traurigen Titelstück, das den Hörer mit entschlossenem Rhythmus heranzieht und gleichsam gefangen nimmt. Die dunkle Ballade "Take", in denen sich Carla Kihlstedts Stimme in beeindruckende Höhen schraubt, führt interessante Dissonanzen mit sich, was zum Text passt: "When endings come we fall to pieces", ach. Wie anders doch das vordergründig beschwingt hüpfende "The Loneliest Number", das mit einer überraschend guten Mischung aus RIO/Avant und Pop wie eine Reinkarnation von Thinking Plague und Eatliz zugleich klingt, während sich die Melodie immer weiter verknotet und schließlich in einem Streichersolo ausklingt. "Keep The Lights On" lebt schließlich von seinem seltsam schleppenden Schlagzeugspiel.

    Auch Folkrock ("Along The Banks") und New Artrock ("This Paradise") sind den Musikern offenkundig nicht fremd. Was ist das hier also für eine Schublade, in die man das Album gern stecken möchte? Wie so oft: Keine. Allenfalls Vergleiche (ich höre unter anderem Evangelista, Nick Cave, Zola Jesus, broken.heart.collector und alles, was traurig macht) bieten sich an und tun Jeremy Flower dennoch Unrecht.

    "The Real Me" - nichts für die fröhliche Autofahrt. Das ist durchaus etwas Gutes.

    Reinhören: "The Real Me" gibt es auf Bandcamp.com zum Stream und Kauf.

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  10. Shamblemaths (Cover)
    "Uproarious rumpus! Bloody racket!" (Conglomeration (or: The Grand Pathetic Suite))

    Vor zehn Jahren, um das Jahr 2006 herum, veröffentlichte das kurzlebige Duo Fallen Fowl, bestehend aus den norwegischen Musikern Simen Ådnøy Ellingsen (Gitarren, Saxophon, Gesang) und Eirik Mathias Husum (Bass), unterstützt von vier Gastmusikern ein paar Demoaufnahmen sowie den/die/das EP "Do They Love You Now?". Ersterer beschloss anschließend, stattdessen in London einen richtigen Beruf zu erlernen, und hat inzwischen in Quantenphysik und Politikwissenschaften (Fachgebiet: Terrorismus mit Kernwaffen) promoviert, was erst mal wahlweise erschreckend oder unglaublich lustig klingt, während sein Kollege in diversen Bands spielte.

    Offensichtlich hatten sie aber noch etwas zu sagen. Erfreulicherweise haben sich die beiden nun wieder zusammengetan, um gemeinsam mit neun Gastmusikern, zusätzlichen Instrumenten und unter neuem Namen, der zumindest eine Wissenschaftsreferenz beinhaltet, das Versäumte nachzuholen; leider mit einem grauenhaften Cover im Stil alter Sowjetkampfplakate, auf dem ein Lastkraftwagen zu sehen ist, der ein sowjetisches Flugzeugwrack (das ist doch ein Flugzeugwrack?) transportiert. Was auch immer die beiden Herren uns damit sagen wollen - nicht jedes Rätsel hat eine schnelle Lösung.

    Enthalten sind drei Stücke in 54 Minuten, was, um die Band selbst zu zitieren, schon stark auf Prog hindeutet. Den Anfang macht "Conglomeration (or: The Grand Pathetic Suite)", das tatsächlich pathetisch ist. Zu Beginn gibt es jauchzenden Keyboard-Zeuhl mit Canterbury- und Gentle-Giant-Einflüssen auf die Ohren. Der namenlose Ersteller der Bandwebsite merkt dazu an:

    Zügellose Anglophilie zeigt sich in den skurrilen Texten, die, vielleicht schlecht beraten, nicht über ein oder zwei Wortspiele hinausgehen.


    Höhö; und weiter, der zweite Teil des Stücks, "Your Silly Stare", beginnt: Faith No More, dann etwas krummtaktiger RIO/Avant, übergehend in von viel Gebläse befeuerten Jazzrock ("A Mockery in the Making"), dazu eine irrlichternde Gitarre, dann wieder die gute, alte Orgel - und das waren nur die ersten sieben Minuten. Zwischendurch bedient man sich schamlos, aber nicht ohne offensichtlichen Hinweis, bei Jethro Tull und Ian Anderson: "Saucy Tiara Woman!". Immer noch im gleichen Stück kommt auch experimentierfreudiger Spacerock zu Wort, plötzlich etwas Primus, dann wieder Orgel-Canterbury wie einst bei Egg. Das ist nichts für Leute, die ihre Musik gern übersichtlich und schlicht mögen. Zum Glück bin ich heute in der richtigen Stimmung dafür.

    Es ist noch nicht vorbei! "A Failing Ember": Mit nur fast neuneinhalb Minuten Länge ist das fast radiotauglich; nein, nicht ganz, zu unterschiedlich sind die Stimmungen. Nach einer Einleitung mit Akustikgitarre im Stile Jethro Tulls übernimmt ein eigenartig entrückter sinfonischer Folkrock mit leichtem schottischem Akzent, mittig aufgelockert durch elektronisches Fiepen, das einen Progressive-Metal-Zwischenteil einleitet, der nicht lange genug dauert, um anstrengend zu sein, gefolgt von griechischer Folklore und abermals Jethro Tull, die diesmal ein bisschen zu viel vom Kraut genascht zu haben scheinen. Ein ruhiger Moment - es spricht ein Säugling zu getragenen, aber sehr schrägen Klängen, woraufhin die Band sich an AOR versucht und selbst das erfreulich gut hinbekommt.

    Für das letzte, wiederum fast zwanzigminütige Stück "Stalker" schließlich, dessen Entstehung noch auf TiaC (offenbar eine Abkürzung für There is a Crowd), das Quintett, aus dem Fallen Fowl einst hervorgegangen waren und das zwischen 2002 und 2005 bestand, zurückgeht, das jedoch zuvor nie aufgenommen worden war, ist mit dem Gitarristen Jan Røe ein ehemaliger Bandkollege aus der Verschollenheit zurückgekehrt. Was gibt's zu hören? "Die heiß ersehnte Stille", verspricht die Bandwebsite, aber vorher ein wenig Liedermachertum, das beinahe in den Pop hineinreicht, aber rechtzeitig von hübsch dissonantem Indie-Rock unterbrochen wird (Mr. Bungle werden schmerzlich vermisst), den Hardrock mit Saxophon (Saxophon!) ablöst, der sich langsam wieder etwas beruhigt, um wieder Platz zu machen für breitformatige Klangflächen, die nur die Ruhe vor dem Sturm sind, denn wiederum später gibt es auch ein Wiederhören mit den wilden Canterbury-Eskapaden und bläsergetragenem RIO/Avant, mit dem das Stück und damit das Album schließlich ausklingt.

    Boah.

    Mindestens aus des Frickelfreundes Sicht ist "Shamblemaths" schon jetzt ein Anwärter auf das Album des Jahres 2016. So 70er war der Progressive Rock schon lange nicht mehr.

    Reinhören: Die Quellen sind rar gesät, aber Streaminganbieter wie TIDAL wissen Rat.

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  11. april fishes - Carpe d'Or (Cover)

    Wer nennt sich denn bitte "Aprilfische"? Das können ja nur Franzosen sein!

    Dabei klingen die vier Herren von Anfang an eher asiatisch; sofort bemerke ich das mächtige Brummen, wie es mich schon bei boris begeisterte, das dann in einen dröhnenden treibenden Rhythmus mit allerlei Knattern und Donnern übergeht. Kein Gesang? Kein Gesang! Ich bin wahrlich kein Freund französischer Sangeskunst, insofern ist das durchaus gut so. Gelegentliche Saxophonausbrüche schlagen die Brücke zu den guten alten Van der Graaf Generator, was nebenbei mit einer entsprechenden Stimmung einhergeht. Es geht thematisch wohl um die See, aber Seemannslieder sind das nun wirklich nicht. Seemannslieder sind auch erschreckend scheiße.

    Womit haben wir es also zu tun? Puh. Sind Journalisten anwesend? Sie würden es vermutlich Slowcore-Dronejazz nennen, vielleicht Postrock, vielleicht Avantgarde, und alles davon ist wahr. Das ist anstrengend, das braucht Zeit, aber es ist wundervoll. Doch, wirklich.

    Reinhören: Amazon.de. TIDAL. Wohl bekomm's.

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  12. Holy Esque - At Hope's Ravine (Cover)

    Holy Esque aus Glasgow machten schon einmal meine Musik zum Wochenbeginn, das dazu gehörende Debütalbum "At Hope's Ravine", erschienen im Februar dieses Jahres, habe ich euch aber bisher verschwiegen. Interessant verzerrte Gitarren, als hätten Placebo endlich mal ein Instrumentalalbum aufgenommen, treffen auf die einmalige Stimme von Pat Hynes und ergeben zusammen ...

    (...) einen mitreißenden Mix, der sich in etwa aus dem rauen Sound von The Pains Of Being Pure At Heart, den verspielten Melodien von Bloc Party und dem Pathos der Editors zusammensetzt.


    Natürlich ist das im Wesentlichen nur gut gemachter Indie-Rock, aber mit einer derart besonderen und insbesondere großartigen eigenen Note, dass es wirklich schade wäre, "At Hope's Ravine" nicht zumindest einmal gehört zu haben.

    Reinhören: Drüben auf Nicorola gibt's eine Soundcloud-Liste mit dem kompletten Album, Ungeduldige können auch auf Amazon.de reinhören.

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  13. Combichrist - This is Where Death Begins (Cover)
    "Give me a break / you give what you take" (Skullcrusher)

    Combichrist sah ich zum ersten und bisher einzigen Mal in meinem Leben im Jahr 2011 auf einem Festival, auf dem sie beinahe den einzigen musikalischen Lichtblick gegenüber den ebenfalls auftretenden Staubkind, Mina Harker und sonstiger Mädchenmusik darstellten. Fragt mich bitte nicht, was ich überhaupt dort verloren hatte. Aus verschiedenen Gründen hatten sie danach bis heute meinen Blicken entzogen.

    Die vier Norweger sind keine typische Rockband; die Besetzung mit Gesang, Schlagzeug, Perkussion und Keyboards, zu denen sich nur live regelmäßig eine richtige Gitarre gesellt, zeigt, dass hier noch mehr Elektronik am Werk ist. Combichrist haben wiederholte Erfahrungen als Vorgruppe von Rammstein gesammelt und dort passen sie auch hin. Aggressiver Industrial beherrscht letztlich auch dieses Album.

    Dass die Texte und Musikvideos von Combichrist noch immer mit Klischees spielen, es geht ja doch immer nur um den Sinn des Lebens und des Daseins, sei ihnen gegönnt. Ernst nehmen sollte man solches nach der Pubertät keinesfalls, denn sonst kauft man eine Waffe und bringt jemanden um. Nein, Combichrist machen Musik zum Abreagieren, nicht zur allzu aufmerksamen Wahrnehmung. Es wird auf Felle gedroschen und zornesrot geschrien, selbst die Keyboards sind wütend. Aus der Perspektive des Genießers ist das alles eine schreckliche Zumutung, aus der Perspektive eines einfachen, unvoreingenommenen Hörers jedoch ist "This is Where Death Begins" nicht weniger als bemerkenswert, zumal es in den meisten Stücken durchaus ohrwurmtauglich ist - ob man will oder nicht. Es muss ja nicht gleich die 3-CD-Version sein.

    Reinhören: Auf YouTube gibt es unter anderem Videos zu Skullcrusher und My Life My Rules.

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  14. Vaults of Zin - Kadath (Cover)

    Einen noch für'n Weg.

    Im Jahr 2014 machte sich das texanische Quartett Vaults of Zin daran, den Nachfolger zu ihrem 2011er Debütalbum aufzunehmen. Warum es noch bis März 2016 dauerte, bis die Öffentlichkeit daran teilhaben durfte, weiß ich nicht, wenngleich das Absicht sein könnte, behauptet die Band doch selbst von sich, sie sei willens, die Grenzen der Improvisation in langen Phasen der Komposition zu erforschen. Das klingt mehr nach Phrasendrescherei als angebracht wäre, denn "Kadath" löst dieses Versprechen tatsächlich ein.

    Auch "Kadath" hat mit fünf Stücken zwischen dreieinhalb und 22:03 Minuten Laufzeit das Progressive schon strukturell erfasst. Los geht's mit ausuferndem Gitarrenzeuhl ("Amduat"). Dass auch King Crimson (vgl. deren "Red") und Bands wie Ruins den Musikern nicht unbekannt sind, lässt sich nicht nur in "Mons Atanua", dessen Gitarrenriff ich schon mal irgendwo gehört habe, erkennen, aber da ist dann doch diese besondere Note, dieses Schwingen zwischen Jazzrock, Drones und Metal, die dem Ganzen quasi die Krone aufsetzt. Schöner flirrten in diesem Jahr noch keine Bässe. Das abschließende "Moongate / Heart Girt with a Serpent", mithin das längste Stück auf dem Album, ist zugleich auch das lauteste, nach einem schön frickeligen, spacerockigen Beginn schließlich kippend in schleppenden Doom-Metal, der selbst einem alten Schöngeist wie mir ein Wohlgefühl anbietet, alles Growling zum Trotz. Das hier macht Gänsehaut, Leute, und das wahrlich nicht zum Schlechten.

    Dieses Album ist verrückt. Ich mag Verrücktes.

    Reinhören: Komplettstream und -kauf gibt's auf Bandcamp.com.

2. Schlimmer Schrott.

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten hierher. Ton aus und los.

  • David Bowie - Blackstar
    Angehörs dieses Albums ist David Bowie wahrscheinlich nicht einfach gestorben, sondern für immer eingeschlafen. Was für eine schnarchlangweilige Popgrütze.

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  • Hypno5e - Shores Of The Abstract Line
    Laut laut.de der "harsche Zwilling von Steven Wilson", dessen Langeweile wird hier allerdings geradezu vorbildlich adaptiert.

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  • Long Distance Calling - Trips
    Stadion-Hardrock trifft auf 80er-Keyboards. So "schön".

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  • Heron Oblivion - Heron Oblivion
    Die musikalische Begleitung zu einem langen, ausgedehnten Spaziergang durch Hannover.

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  • Santana - Santana IV
    Ich weiß nicht genau, wie Herr Santana es schafft, auch rockige Teile seiner Stücke zu Bügelbegleitmusik zu machen, aber er hat es tatsächlich auch diesmal wieder hinbekommen.

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  • LNZNDRF - LNZNDRF
    Mitglieder von The National (sonst eigentlich ganz gut) und Beirut (mir sonst unbekannt) versuchen wie Joy Division zu klingen, schaffen es aber doch nur zu einem müden Aufguss von Mark Everett.

3. Schnee von gestern.

Zum Abschluss gibt es einen Rückblick in die letzten vierzig Jahre Musik und Gesellschaft. Vor vierzig Jahren hatten wir's erst 1976. Fühlt ihr euch auch gerade so unangenehm gealtert wie ich? - Musik, Maestro:

  • Vor 40 Jahren:

    Mao stirbt, Schmidt wird wiedergewählt, die Todesstrafe in den USA wird wieder eingeführt. Der Vogel des Jahres ist der Wiedehopf. Auch musikalisch erleben wir 1976 als ein Jahr der Tode und der Neugeburten:

    Die US-amerikanische Symphonic-Prog-Band Fireballet beendet bereits mit ihrem zweiten Album Two, Too ..., das gleichzeitig den wahrscheinlich blödesten Namen und das garantiert bescheuertste Coverbild des Jahres trug, ihre eigene Karriere, was den bis dahin involvierten Musikern, im Vorjahr immerhin auch noch Ian McDonald, allerdings keinen dauerhaften Schaden zufügt. Ihre britischen Kollegen von Camel drehen indes gerade erst so richtig auf, mit Moonmadness erscheint im vierten Jahr in Folge ein beeindruckendes, atmosphärisches Album, das im Internet gern und vollkommen zu Recht "wunderschön" genannt wird. Geschwächelt wird erst in den Folgejahren, das maue Breathless von 1978 zeigt die Zeichen der Zeit. Allein: Camel halten bis heute durch. Ebenfalls auch heute aktiv sind die zwischendurch immer mal wieder aufgelösten Van der Graaf Generator, die sich mit den beiden überragenden Alben Still Life und World Record - man war kreativ in jenen Tagen - ein letztes Mal aufbäumten, bevor die Gruppe erst den "Generator" aus ihrem Namen strich und dann, nach einem letzten Studioalbum in neuer Besetzung (The Quiet Zone / The Pleasure Dome, 1977) und dem Livealbum Vital (schon wieder 1978), nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte vorübergehend zerfiel.

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  • Vor 30 Jahren:

    Jahre, die mit 6 enden, sind offensichtlich ungesund. Im Januar 1986 fällt die Challenger kaputt vom Himmel, drei Monate später lässt ein Schichtleiter in der USSR ein Atomkraftwerk überlasten, was bis heute den Ruf der Kernkraft nicht zum Besseren beeinflusst.

    Mit Balance of Power zerstören im gleichen Jahr Electric Light Orchestra ihren Ruf mit klebriger Popmusik, bevor auch sie fünfzehn Jahre lang von der Bühne verschwinden. Ebenso ist für Genesis bald Schluss mit lustig: Nach Invisible Touch, das man bitteschön nie wieder auch nur auszugsweise öffentlich aufführen soll, macht Phil Collins erst mal ein paar Jahre lang blöde Dudelmusik unter seinem eigenen Namen. Ist der Ruf erst ruiniert... Die anschließende Reunion für das ebenso scheußliche We Can't Dance (1991) hätte es wirklich nicht gebraucht. Was es allerdings durchaus gebraucht hat, war, dass einer ganz anderen Band der Radiopop allmählich schnurzpiepegal wurde: The Colour of Spring markiert 1986 den Wendepunkt in der Karriere der einstigen Popkapelle Talk Talk, deren Musik immer sperriger, immer ausladender und zugleich immer intimer wurde, bis die ganze Band eines Tages zu existieren aufhörte. Ihr Sänger Mark Hollis lässt seitdem nur gelegentlich von sich hören, zuletzt immerhin 2012. Auch ein anderer Sänger meldet sich zur gleichen Zeit mit Ungewohntem zurück: Rio Reiser versucht sich nach der finanziell wohl notwendigen Auflösung von Ton Steine Scherben im Vorjahr auf Rio I. als Solokünstler, wobei Stücke wie "König von Deutschland" und "Junimond", die ja irgendwie auch niemand mehr so richtig gut ertragen kann, eigentlich im Bandkontext hätten veröffentlicht werden sollen; Ersteres war bereits 1976 Teil des Scherben-Repertoires. Ebenfalls etwas Neues probiert die frühere Punkband Beastie Boys aus, die mit ihrem Debütalbum Licensed to Ill einen Hip-Hop-Klassiker veröffentlicht, der nicht folgenlos (Ruhm, Reichtum, Coverversionen noch und nöcher) bleiben sollte.

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  • Vor 20 Jahren:

    1996 wird Deutschland zum dritten und bisher letzten Mal Europameister im Herrenfußball. Ich sah damals zum ersten Mal ein Fußballspiel auf einer richtigen Leinwand in einer Scheune und verstand schon damals nicht, worüber sich alle so freuen.

    Zur Freude gibt 1996 auch musikalisch kaum einen Anlass: Tic Tac Toe gehen diesem armen gebeutelten Land mit ihrem Debütalbum (kackdoofer Titel: Tic Tac Toe) auf die Nerven, Mr. President sind mit der Single "Coco Jamboo" und dem dazu bedrückend gut passenden Album We See the Same Sun im Weg. Zwischen Retro- und Neoprog veröffentlichen gleichfalls diverse Bands ihre Debütalben ohne anständigen Titel, darunter Quidam, Somnambulist und Spektakel, deren gleichnamiges Album allerdings bereits 1974 aufgenommen worden war. Plattenfirmen waren damals wohl einfach nicht so schnell. Auch der bereits 1993 verstorbene Frank Zappa - der Tag, an dem ich Frank Zappa verstehe, wird sicherlich kommen - "veröffentlicht" mit dem bereits zwei Dekaden zuvor eigentlich fertigen Läther eines seiner wohl unwidersprochen besten Alben, konnte sich darüber aber nicht mehr so richtig freuen. Ob Tortoise, die für ihr zweites Studioalbum Millions now living will never die den damals ehemaligen Slint-Gitarristen David Pajo als Ersatz für den ausgestiegenen Bundy K. Brown verpflichten konnten, mit dem Titel des Albums Recht behalten sollten, wird sich möglicherweise allerdings noch erweisen.

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  • Vor 10 Jahren:

    Als unsterblich gelten heute allerdings ganz andere Herren: 2006 fanden zugleich der sehr lange 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart und der 150. Todestag von Robert Schumann statt. Wahrlich, wie man so sagt, große Fußstapfen.

    In die Amy Winehouse nie so ganz hineinpasste: Back to Black sollte ihr letztes Album bleiben, es folgten aufbrandender Erfolg, Alkohol und Tod. Bis heute das letzte Album veröffentlichen im gleichen Jahr auch Tool mit 10,000 Days, ein erst 2015 für überstanden erklärter Rechtsstreit verhindert bis heute die Veröffentlichung des längst angekündigten Nachfolgealbums, obwohl, wie man so hört, es jetzt tatsächlich nicht mehr allzu lange dauern soll. The Mars Volta hingegen existieren inzwischen gar nicht mehr, was ich bedaure, denn mit Amputechture, dem Nachfolgealbum des von mir geschätzten, ähnlich überdrehten Frances the Mute, erscheint auch 2006 wieder eines ihrer Alben, die ich Jahre später langsam zu mögen begann. Ganz woanders zu verorten sind Katatonia, deren The Great Cold Distance, gefüllt mit einer zumindest bemerkenswerten Mischung aus Gothic und Progressive Metal, einen für dieses Jahr recht passenden Namen trägt.

Damit ist das Halbjahr auch musikalisch endlich vorbei; aber verzagt nicht, die Liste für das zweite Halbjahr füllt sich unaufhörlich und es sind bereits jetzt einige feine Perlen dabei. Das wird noch ein wundervolles restliches Jahr für uns Musikfreunde. Näheres zu gegebener Zeit.

Danke für die Aufmerksamkeit!
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Re: Die besten Alben im 1. Halbjahr 2016

BeitragAuthor: pesti » So 4. Sep 2016, 20:31

:respekt :cheers :))

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Re: Die besten Alben im 1. Halbjahr 2016

BeitragAuthor: Tuxman » Mo 5. Sep 2016, 21:12

pesti, du hier! :D
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Re: Die besten Alben im 1. Halbjahr 2016

BeitragAuthor: pesti » Mi 21. Sep 2016, 21:46

Ja, es lebt. Mir geht es gut, ich hoffe euch auch. Respekt, dass ihr noch die Seite online haltet. :cheers

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Re: Die besten Alben im 1. Halbjahr 2016

BeitragAuthor: Tuxman » Mi 21. Sep 2016, 23:41

Nichts zu ändern ist oft mit dem wenigsten Aufwand verbunden.
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